Überlegungen 08.03.2024

„Es besteht ein hoher Bedarf an mehr Echtzeitdaten“

INTERVIEW MIT CARLO LAZAR, AIDON

energate messenger am 26.02.2024

Frankfurt/Main (energate) – Die Umsetzung der netzdienlichen Regelung steuerbarer Verbraucher nach § 14a EnWG steht derzeit weit oben auf der Agenda vieler Verteilnetzbetreiber. energate sprach mit Carlo Lazar, Director of Sales and Marketing EMEA des finnischen Netztechnikdienstleisters Aidon, über die Herausforderungen bei diesem Prozess und Erfahrungen aus den skandinavischen Ländern bei der Netzdigitalisierung.

energate: Herr Lazar, mit der Einführung der netzdienlichen Regelung nach § 14a EnWG müssen die Netzbetreiber ihre Netze mit Smart-Metering-Technik ausstatten. Welche Herausforderungen ergeben sich für die Netzbetreiber bei der Umsetzung?

Lazar: Deutschland nimmt mit der Umsetzung der neuen Vorgaben bei der Laststeuerung im Niederspannungsnetz nach § 14a EnWG eine Vorreiterrolle in Europa ein. Die Vorgaben aus § 14a sind notwendig und wichtig, um die zukünftigen Herausforderungen in den Niederspannungsnetzen zu meistern. Das Dimmen der Leistung von Verbrauchern ist aber nur eine wichtige neue Aufgabe, mit der sich die Verteilnetzbetreiber beschäftigen müssen. Die für eine Umsetzung von § 14a erforderlichen Hard- und Softwarelösungen sind am Markt bereits verfügbar. Doch Ressourcenengpässe aufseiten der Netzbetreiber sowie Unsicherheit darüber, welche Daten in welcher Auflösung und Übertragungshäufigkeit sinnvollerweise zu erfassen sind, könnten die Umsetzung der Vorgaben verzögern. Wir gehen davon aus, dass die Bundesnetzagentur und das Bundeswirtschaftsministerium in diesem und im nächsten Jahr die §-14a-Anforderungen konkretisieren werden.

Die über § 14a geforderten Netzzustandsdaten, die über Smart Meter geliefert werden müssen, werden allein nicht ausreichen. Bis 2028 darf noch präventiv gesteuert werden. Ab dem 1. Januar 2029 ist jedoch ein allgemeines Monitoring, basierend auf strang- und abgangsscharfen Echtzeit-Messdaten notwendig. Allerdings ist noch nicht klar, ob die Smart Meter die als Zusatzleistung definierten Minutenwerte, also minütlich übertragene Netzzustandsdaten, überhaupt bereitstellen können. Das bisherige wMBUS-Protokoll ist dafür nicht geeignet. An einem sogenannten Kompaktprofil wird aktuell gearbeitet.

energate: Welche Daten und Datentypen muss ein Netzbetreiber aus Ihrer Erfahrung heraus eigentlich erheben, um einen geeigneten Überblick über den tatsächlichen Netzzustand zu erhalten?

Lazar: Generell besteht ein hoher Bedarf an mehr Echtzeitdaten, um den Betrieb der Niederspannungsnetze besser und effizienter steuern zu können. Welche Daten wie schnell zur Verfügung stehen müssen, hängt nicht nur davon ab, ob es sich um ein städtisches oder ländliches Netzgebiet handelt. Die Anzahl von PV-Anlagen, Wallboxen und Wärmepumpen in einem Netzgebiet spielt auch eine entscheidende Rolle.

Die richtigen Asset-Management- und Stammdaten, einschließlich der genauen Netztopologie, werden in Zukunft immer wichtiger werden. Um die Vorteile sogenannter digitaler Zwillinge im Niederspannungsnetz nutzen zu können, bedarf es einer guten Datengrundlage, damit die Algorithmen und Berechnungen auf den richtigen Annahmen beruhen.

energate: Welche Daten abseits des eigentlichen Netzzustandes sind ebenfalls relevant?

Lazar: Richtig ist zunächst einmal, dass allein die im Messstellenbetriebsgesetz  (MsbG) genannten Netzzustandsdaten nicht ausreichen. Der Netzbetreiber benötigt darüber hinaus mehr Informationen, beispielsweise physikalische Modelle des Verteilnetzes, die eine detaillierte Beschreibung der Netzstruktur und -komponenten beinhalten. Zu den relevanten Prozessdaten gehören auch Echtzeitdaten zu Netzparametern und Leistungsfluss. Aber auch Umgebungsdaten beispielsweise über Umweltbedingungen, Wetter und geografische Informationen sind relevant. Grundsätzlich gehören auch Last- und Verbrauchswerte sowie Informationen aus Geoinformationssystemen für genaue geografische Darstellung des Niederspannungsnetzes zum Handwerkszeug eines Netzbetreibers.

energate: Der skandinavische Markt ist in Sachen Netzdigitalisierung bereits weiter als der deutsche Markt. Welche Lehren lassen sich aus den dortigen Erfahrungen hinsichtlich des Einsatzes intelligenter Komponenten ziehen?

Lazar: In Skandinavien wurden die ersten intelligenten Zähler bereits im Jahr 2003 in Betrieb genommen. Finnland und Schweden implementieren derzeit schon die zweite Generation dieser Zähler. Hauptziele dieser Rollouts sind die automatisierte Abrechnung der Energiemengen sowie die Visualisierung von Verbrauchsdaten. Auch das Verbraucherverhalten hat sich im Laufe der Zeit verändert. Aufgrund steigender Energiepreise nutzen Verbraucher in den letzten zwei Jahren ihre Verbrauchsdaten, um ihren Energieverbrauch zu analysieren und gegebenenfalls in günstigere Zeitzonen zu verlagern. Daten über den eigenen Energieverbrauch werden für die Verbraucher immer wichtiger.

Darüber hinaus werden mehr und mehr technische Daten über das Niederspannungsnetz erhoben, um den Netzbetrieb zu optimieren. Alle Verteilnetzbetreiber in den nordischen Ländern sammeln 15-minütige 4Q-Lastprofile von ihren Ortsnetzstationen. Einige gehen noch einen Schritt weiter und erfassen diese Profile mit einer Auflösung von fünf Minuten pro Phase pro Abgangskabel. Zusätzlich werden noch Spannung, Strom, aber auch Daten zur Netzqualität (THD) erfasst. Mit einstellbaren Grenzwerten und Alarmmeldungen bei Verletzung dieser Grenzen betreiben einige Netzbetreiber eine Art Vorwarnsystem. Durch eine solche Strategie kann die zu verarbeitende Datenmenge erheblich reduziert werden.

energate: Auch in diesen Ländern nimmt die Zahl an dezentralen Erzeugern und neuen Verbrauchern wie Wärmepumpen und Wallboxen zu. Mit welchen Folgen?

Lazar: Wir erkennen deutlich den Trend, dass Verteilnetzbetreiber aufgrund der steigenden Anzahl an Elektrofahrzeugen, Solaranlagen und Wärmepumpen zunehmend mehr technische Daten aus den intelligenten Zählern zur Netzbetriebsführung nutzen. Die Anzahl von verschiedenen Anwendungsfällen, die die Sammlung von nahezu Echtzeit-Technikdaten aus den intelligenten Zählern beinhalten, wächst in Skandinavien stetig. In Schweden fordern die Verteilnetzbetreiber aufgrund der rasch wachsenden Solareinsätze mehr detaillierte Informationen über den produzierten Strom, in Finnland werden mit dem Aidon-Zähler auch Erdanschlussfehler im Mittelspannungsnetz lokalisiert. In Norwegen erwägen die Verteilnetzbetreiber, die Softfuse im intelligenten Zähler zu nutzen, um die Kapazität im Netz zu optimieren. Dieser Trend ist heute schon in allen skandinavischen Ländern zu beobachten und wir gehen davon aus, dass noch viele weitere Anwendungen folgen werden.

Die Fragen stellte Rouben Bathke.